:: User Stories - SHaDow ::


Ich kann mich noch ziemlich genau daran erinnern, auf welche Weise ich mit Computern in Kontakt kam. Ich war im Grunde völlig ahnungslos und hatte höchstens einmal an einer ATARI 2600 Konsole gehangen und PingPong gespielt. Es muss so um 1984 gewesen sein, als ein neuer Schüler in meine damalige Grundschule kam. Er war aus einem andern Stadtbezirk in unseren gezogen und war so mehr oder weniger gezwungen auch die Schule zu wechseln. Sein Name war Andreas und er war Besitzer der oben genannten Konsole (wenn man das zu der damaligen Zeit überhaupt so nennen konnte).

Wir freundeten uns schnell an, da er in meine unmittelbare Nachbarschaft zog und somit auch immer schnell zu Fuß erreichbar war. Wir verbrachten viel Zeit zusammen und eines Tages bekam er einen Computer. Ich weiß nicht mehr genau, ob es sein eigener war oder seinem Vater gehörte - jedenfalls war er da: Der sagenumwobene ATARI 800XL - nebst Datasette. Datasetten waren die damaligen Vorläufer der Diskette. Im Prinzip ein einfacher Kassettenrecorder, mit dem man Daten auf Kassetten abspeichern konnte. Natürlich war die Kapazität einer Kassette sehr begrenzt und das Lesen und Speichern von Informationen dauerte eine Ewigkeit! Dennoch war der ATARI 800XL damals eine Maschine, die man mit Fug und Recht als Up-To-Date bezeichnen konnte. Es war ein 8-Bit-Rechner, der quasi in direkter Konkurrenz zum Commodore C64 stand. Beide Systeme waren allerdings zueinander nicht kompatibel und hatten, jedes für sich, ihre Vor- und Nachteile. Dazu hatte er noch einen Drucker, der sich von kostengünstigem Endlos-Faxpapier ernährte. Es war ein Thermodrucker, der die Farbe von Wachsrollen sozusagen aufs Papier bügelte (Anm.: Auch heute noch gilt der Thermosublimationsdruck als gebräuchliche und sehr präzise Druckvariante. Sie ist allerdings in den Unterhaltskosten sehr teuer, da die Farbbänder sehr teuer waren und die Wachsschicht komplett auf das Papier übertragen wurde. Man konnte also jedes Band nur einmal verwenden).

Kurze Zeit später bat ich meine Eltern, mir auch einen solchen Computer zu kaufen. Genau denselben und ich wollte auch einen genauso genialen Drucker haben! Eigentlich wußte ich mit der Kiste überhaupt nichts anzufangen. Mein Freund Andreas hatte ein paar Spiele und das war es auch schon - doch genau diese Spiele wollte ich eben auch spielen.

Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich meine Eltern überzeugen konnte, denn auf die Frage, wozu ich einen Computer brauchte, wußte ich eigentlich keine Antwort. "Andi hat auch so einen!" - ein typisches, wenn auch wenig erfolgversprechendes Argument. Ich überzeuge sie jedoch schließlich trotzdem - damit, dass ich auf einem Computer ja auch schreiben konnte. Immerhin besaß er eine Tastatur. So geschah es: Ich bekam meinen ersten eigenen Computer und war rundum glücklich! Ich spiele diverse Spiele und war begeistert von der Grafik und dem Sound, den diese Kiste erzeugte. Später sah ich dann die ersten sogenannten Grafik- und Sound-Demos. Das waren kleine Programme, die im wesentlichen dazu dienten, die Grafik- und Soundfähigkeit der Computer zu demonstrieren (und natürlich die Programmierkünste ihrer Entwickler). Einige dieser Demos waren grafisch und musikalisch wahre Kunststücke und haben sich in der Computerszene bis zur heutigen Zeit Unsterblichkeit erworben. Allein ihre Namen rufen noch heute anerkennenden Raunen hervor.

Nachdem Andreas und ich uns auch Diskettenlaufwerke zugelegt hatten, find ich an, die Kiste selbst zu programmieren - mit einer Sprache, die sich BASIC nannte. Allerdings wußte ich nicht wirklich, was ich damit anfangen sollte und so verbrachte ich mehr Zeit damit, mit einem HEX-Editor schon bestehende Programme und Diskettensektoren anzusehen und zu manipulieren. So erschienen schon bald meine eigenen Texte in Spielen, die ich garnicht programmiert hatte. Das war schon ein tolles Gefühl.

Die Zeit ging ins Land und eines Tages im Jahre 1986 - ich war zwarte 13 Jahre alt (in diesem Alter haben die meisten Kids heute schon ihren ersten Festplatten-Crash hinter sich) - schlenderte ich zusammen mit meiner Mutter durch ein Kaufhaus und sah ihn dort stehen! Es muß Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, denn ich kam einfach nicht mehr davon los. Es war ein Commodore Amiga 500 und er stand da, als ob er sagen wollte: "Kauf mich Thomas, kauf mich!". Der Amiga 500 war erst vor Kurzem auf den Markt gekommen und bot atemberaubende Möglichkeiten. Es war ein 16/32-Bit Computer, ausgestattet mit einem Motorola MC68000 Prozessor mit 7,14 MHz und 512kByte Hauptspeicher, den man auf sagenhafte 1 MByte aufrüsten konnte. Was auch immer das alles zu bedeuten hatte - es war mir unbewußt sofort klar, dass er meinen derzeitigen Computer bei weitem in den Schatten stellen würde. Der Amiga besaß ein eingebautes 3,5" Diskettenlaufwerk, eine grafische Benuztzeroberfläche und konnte bis zu 4096 Farben in einem speziellen Grafikmodus darstellen.

Nun, die Sache hatte natürlich einen Haken und das war der Preis dieser Traummaschine. Die 999 DM lagen natürlich nicht einfach auf der Straße. Allerdings hatte ich ein wenig erspartes Geld und den Rest bekam ich von meiner Mutter dazu, wofür ich ihr noch heute dankbar sein muß. Einen Monitor brauchte ich nicht, denn ich hatte noch von meinem Atari einen Festfrquenzmonitor von Philips. Da der Amiga nur ein Ausgangssignal mit einer Horizontalfrequenz von 15 kHz zur Verfügung stellte, schied ein VGA-Monitor von vornherein aus - mein Philips hingegen passte perfekt.

Der AMIGA war einfach göttlich. Die Spiele waren wesentlich brillanter und der Sound klang um Längen besser. Nach und nach verwendete ich diverse Anwenderprogramme, malte Bilder und komponierte mit einem Programm, dem "SoundTracker", 4-stimmige Musikstücke. Damals wußte ich schon, dass es sogenannte "Personal Computer" gab. Allerdings wußte ich auch um deren beschränkte Fähigkeiten und war daher froh, einen besseren Computer zu besitzen, der nicht nur piepsen und 16 Farben darstellen konnte. Welch schmerzlichen Nebeneffekt das haben sollte, bemerkte ich erst Jahre später - das Zauberwort heißt "PC-Kompatibilität".

Etwa zur selben Zeit kam ich mit einer mir bis dato unbekannten Materie in Kontakt. Ein Klassenkamerad, Oliver, besaß einen Akkustikkoppler. Ich hatte vorher nie von einem solchen Gerät gehört und dass man darauf einen Telefonhörer befestigen konnte, kam mir schon etwas spanisch vor. Andreas und ich trafen uns eines Tages bei ihm und trauten unseren Augen nicht. Es gelang Oliver mit Hilfe des Akustikkopplers wie von Geisterhand Zeichen auf den Bildschirm seines Schneider CPC464 zu zaubern. Wenn ich nicht schon etwas reifer gewesen wäre, hätte ich Oliver kurzerhand zu einem meiner persönlichen Götter erkoren, jene Gestalten die angeblich Wasser zu Wein machen konnten.

Wir mussten ziemlich leise sein, da es sonst dazu kam, dass sogenannte Störzeichen auf dem Monitor erschienen. Die Kommunikation fand mit Hilfe von akustischen Signalen statt, die vom Akustikkoppler in digitale Signale verwandelt wurden, mit denen der Computer etwas anfangen konnte. Oliver zeigte uns die Welt der Mailboxen. "Toll", dachte ich, "und nun?" So richtig war das noch nichts für mich. Ich hatte zwar schon irgendwie begriffen, dass man mit Hilfe des Telefons einen anderen Computer, der ebenfalls ans Telefonnetz angeschlossen war, anrufen konnte, aber wozu das gut sein sollte, war mir nicht klar. Es sollten noch einige Monate vergehen, bevor ich endlich die Erleuchtung hatte.

Ein mehr oder weniger allgemeiner Bekannter - er nannte sich Iron Eagle - besaß ein 2400-Baud-Modem und das gefiel mir auf Anhieb besser als der umständliche Akustikkoppler, der zudem auch noch totale Stille verlangte, um die Datenübertragung nicht zu beeinträchtigen. Ein Modem war scheinbar das ultimative Mittel, um mit der Welt da draußen in Verbindung zu treten. Es war ein Discovery 2400 und besaß ein schlankes, gutaussehendes Gehäuse mit schwarzen Kunststoffblenden, einigen Lämpchen und einem Ein- und Ausschalter - sozusagen ein "Must Have" für einen schon damals sehr Technikbegeisterten wie mich.

Iron Eage zeigte uns einige Berliner Mailbox-Systeme, wie z.B. das "Land der Schlümpfe". Allein dieser Name klang wie Musik in meinen Ohren, denn die Schlümpfe zählten damals zu meinen Lieblingen. Wer sich also einen solchen Namen für ein Mailboxsystem aussuchte, kann nur Spaß an der Sache haben! Er zeigte uns, wie man Nachrichten mit anderen Usern austauschen konnte und transferierte sogar Daten auf sein eigenes System. Durch die Telefonleitung! Wahnsinn! Das gefiel mir, obgleich ich keine Ahnung hatte, wie weit es mein Leben verändern sollte.

Das 2400 Baud Modem brachte es nur auf eine Datenübertragungsrate von ca. 232 Zeichen pro Sekunde. Rein rechnerisch hätten es eigentlich 300 sein müssen, aber wie ich wesentlich später herausfand, mussten einige Steuerzeichen des sogenannten Übertragungsprotokolls mit übertragen werden und somit stand für den eigentlichen Datentransfer nur eine etwas geringere Transferrate zur Verfügung. Außerdem war die Datenübertragung sehr von der Qualität der Telefonverbindung abhängig. Davon abgesehen gab es einfach nichts schnelleres und so waren diese 232 Zeichen pro Sekunde das höchste der Gefühle.

Damit war ich infiziert. Ich hatte den DFÜ-Virus endgültig geschluckt und je öfter ich „Iron Eagle“ besuchte, desto mehr wurde mir bewusst „Thomas, du brauchst das auch!“. Ein Bekannter von Andreas, den ich später kennen lernte, hatte ebenfalls ein Modem und dort machte ich dann auch endlich meine ersten ‚Gehversuche’. Ich hatte noch keinen eigenen Mailbox-Account aber machte schon die weite Welt der DFÜ unsicher. Irgendwann kam es sogar dazu, dass ich meinem allerersten Usertreffen beiwohnte. Ich war eigentlich noch gar kein User aber ich ging einfach mit, um mal zu sehen wie das so abläuft. Wir trafen uns mit einigen anderen Usern eines Mailboxsystems - ich bin mir nicht mehr sicher ob es das „Land der Schlümpfe“ oder die „Basis“ war, eine weitere Mailbox, die sich einen Namen gemacht hatte und den Berliner Freaks sicher auch heute noch ein Begriff ist - in einem Lokal irgendwo in Westberlin. Es war ziemlich eigenartig. Die Leute fragten sich erst gegenseitig nach den Usernamen aus und saßen eigentlich nur rum, tranken und aßen. Man führte keine tiefgründigen Gespräche und ich fühlte mich auch irgendwie eigenartig, da ich ja nicht einmal „dazugehörte“. Früher müssen sich Modembesitzer in Berlin eigentlich wie im Schlaraffenland gefühlt haben, denn anders als im restlichen Gebiet der BRD gab es in Berlin keinen Zeittakt. Man konnte für 23 Pfennige (~ 12 € Cent) eigentlich den ganzen Tag "online" sein.

Recht spät - erst nach meinem Grundwehrdienst 1993 - kam ich dann über den damaligen Freund einer meiner Schwestern endlich zu meinem ersten Modem. Es war ein Discovery 1200. Nun ja, nur 1200 Baud, aber es war meins! Danach ging alles sehr schnell: ich nannte bald ein ZyXEL U1496E mein eigen. Es hatte eigentlich eine Übertragungsgeschwindigkeit von 14.400 Baud, konnte aber zwischen Modems des gleichen Typs Geschwindigkeiten von 16.800 und nach einem Hardware-Umbau oder dem Erwerb eines ZyXEL U1496E+ sogar 19.200 Baud übertragen. Das war zu der Zeit das schnellste was man erreichen konnte und es fühlte sich gut an. Ich begann wie verrückt in Mailboxen zu chatten und Nachrichten mit anderen Usern auszutauschen. Ich besuchte viele Usertreffen und war immer wieder überwältigt. Hätten die Mailboxen keine Onlinezeit-Begrenzung gehabt, wäre ich sicher noch länger täglich online geblieben, aber auch so reichte es, um den Unwillen meiner Mutter zu erregen, warum denn die Telefonrechnung so hoch sei. Nun, ich war schon 19 Jahre alt, hatte aber noch keinen Job und gönnte mir nach der Bundeswehr erst mal eine Auszeit. Später begann ich dann eine Ausbildung und steuerte natürlich meinen Teil zur Telefonrechnung bei. wenig später hatte ich dann auch meinen eigenen Telefonanschluß und war somit wieder eine Sorge los. Ich fing an, mich in diversen Mailboxsystemen aktiv zu engagieren. Ich war in einigen Systemen Area- oder Fileverwalter für die Amiga-Fileareas. Das waren die Bereiche, in denen man sich Dateien für Amiga-Systeme herunterladen konnte.

Einige Systeme hatten bis zu 20 Ports und an die 1000 User. Es waren unvorstellbar große Gemeinschaften von Gleichgesinnten. Sowohl Männer als auch Frauen tummelten sich in den Systemen und chatteten in den großen Systemen gleichzeitig und in Echtzeit miteinander.

Wenig später wagten einige lokale Mailboxen den Schritt, sich an weltweite Computernetze anzuschließen. Bis zu diesem Zeitpunkt führte ja jede Mailbox quasi ihr eigenes Leben. Dass es inzwischen das sogenannte Usenet, Fido-Net und ZERBERUS-Netz gab, entzog sich sicher der Kenntnis der meisten User. Umso interessanter wurde es, als man sich plötzlich mit wildfremden Usern aus ganz Deutschland unterhalten konnte. Es gab eigene Datennetze zwischen den verschiedenen Mailboxsystemen, die teilweise schon länger existierten, und das eben erwähnte Usenet, welches das Internet als Plattform besaß und Hunderte von Foren bereitstellte, in denen man buchstäblich über Gott und die Welt sprechen konnte. Dieses Usenet gibt es natürlich noch heute. Es sind die bekannten .de - Foren, auf die man über nahezu jeden größeren News-Server auf der Welt zugreifen kann.

Meine bevorzugten Systeme waren die „Private Jungle“, „Space Doubt II“ und die „Crazy Paradise“. Gelegentlich besuchte ich auch andere Systeme, wie etwa die „Commuication“, die „Hellraiser“ oder auch die „Notre Dame“ in Hamburg (ganz liebe Grüße nach Hamburg an Mustafa - das war ein tolles System)! Eigentlich könnte man noch einige mehr aufzählen und zu jedem System mehrere Seiten mit unglaublichen Geschichten füllen.

Nahezu alle meiner bevorzugten Systeme liefen mit dem gleichen Mailboxprogramm, dem AMMS (Amiga Multiuser Mailbox System), dessen Vorteil es war, dass es mehrere Ports (d.h. Modemzugänge) gleichzeitig unterstützen konnte und die Multitaskingfähigkeit des Amiga voll ausschöpfte. So waren Mailboxen mit über 20 Ports kein Probem - die nötige Anzahl von mehrfach-seriellen Einsteckkarten, Modems und Telefonleitungen vorausgesetzt.

Die „Crazy Paradise“ war mit Abstand mein Lieblingssystem. Dort habe ich mich schnell mit vielen Usern und auch Iron, dem System Operator (also dem aufopferungsvollen Betreiber der Mailbox) angefreundet und nachdem sich herausstellte, dass er nur ein paar Straßen entfernt wohnte, besuchte ich ihn und seine heiligen Rechner. Ich musste aber meine eigene Tastatur mitbringen. Er besaß zwar eine große Anzahl von Konsolenrechnern, die lokal am Mailboxrechner angeschlossen waren, aber ihm fehlte eine Tastatur. Da ich kurz zuvor einen Amiga 2000 erworben hatte, steckte ich also meine Tastatur in den Rucksack und stiefelte los. Bald wurde ich Areaverwalter für den Amiga-Filebereich und es dauerte nicht lange, bis die Zusammenarbeit so gut wurde, dass Iron mich fragte, ob ich nicht CoSysOp werden mochte. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen, denn ich war mittlerweile so fasziniert von der DFÜ, dass für mich gewissermaßen ein Traum wahr wurde. Es sollte in Hinblick auf die DFÜ nicht der letzte Traum gewesen sein - aber jedenfalls zu diesem Zeitpunkt der größte.